Konstituierende Sitzung des Generationenkollegs am 7. Juni 2007 in der Europäische Akademie Berlin


Sehr verehrte Damen und Herren,

H.-E. SchleyerAlt und Jung im Handwerk! – dies ist für uns – die Handwerksorganisationen - mehr als der Titel eines Projektes. Im Handwerk galt schon immer der Leitsatz: Die Jungen, der Nachwuchs, lernen von den Älteren. Diese Weitergabe von Wissen und Erfahrungen war und ist für handwerkliche Berufe kennzeichnend. Nur so können traditionelle Techniken und moderne Technologien gleichermaßen die handwerklichen Tätigkeiten prägen. In vielen Geschäftsbereichen – denken Sie nur an die Denkmalpflege – kann ohne das Wissen und die Erfahrungen der Alten nicht erfolgreich agiert werden. Dieses Wissen ist zu wertvoll, um eventuell unwiederbringlich verloren zu gehen. Viele Unternehmen, die dem Jugendwahn nacheiferten, korrigieren heute diese Personalpolitik, weil sie feststellen mussten, dass nicht nur körperliche Leistungsfähigkeit den Erfolg des Produktionsprozesses bestimmt. Die Erfahrungen z. B. im Umgang mit kritischen Situationen verhindern oft die Eskalation eines Problems, und auch die Kunden haben zunehmend besondere Ansprüche und Bedürfnisse. Doch nicht nur im Umgang mit den für das Handwerk immer wichtiger werdenden Senioren können junge Mitarbeiter von den älteren Kollegen und Kolleginnen lernen, auch wie man auf Kundengruppen zugeht und sie anspricht.

In der heutigen Zeit kommt ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt hinzu: Die demografische Entwicklung in Deutschland trifft besonders das Handwerk. Abgesehen von den allgegenwärtigen Problemen der Renten- und Sozialversicherungssysteme, die bisher und auch zukünftig auf der Solidarität zwischen den Generationen basieren werden – das Handwerk hat jetzt schon Nachwuchsprobleme, die sich angesichts der geringen Geburtenrate dramatisch verschärfen werden. Qualifizierte Fachkräfte fehlen. Der "Kampf um Talente" hat schon begonnen. In zehn Jahren werden alle Unternehmen um die Gunst der Heranwachsenden wetteifern. Jeder Schulabgänger ist mit seinen Fähigkeiten und Potenzialen ein möglicher Mitarbeiter, der gefordert und gefördert werden muss. Darunter sind nicht nur Leistungsstarke, auch um die Leistungsschwachen müssen wir uns kümmern.

Das Handwerk wird zu Recht für sein gesellschaftliches Engagement gelobt. Solidarität mit Schwächeren ist ebenso selbstverständlich wie die Zusammenarbeit der Generationen. Viele Handwerksbetriebe sind Familienbetriebe über mehrere Generationen hinweg, in denen Junior und Senior zusammenarbeiten. Die geringe Betriebsgröße ermöglicht, ja erzwingt den engen Kontakt der gesamten Belegschaft. Alt hilft Jung und Jung unterstützt Alt. Das breite Aufgabenspektrum und die kaum vorhandene Hierarchie sind Alleinstellungsmerkmale des Handwerks. Dadurch ist ein Geben und Nehmen, ein permanenter Austausch von Wissen und Erfahrungen im Tagesgeschäft ebenso selbstverständlich wie unerlässlich.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
heute wird ein Projekt vorgestellt, das von der Robert Bosch Stiftung gefördert wird. Dafür dem Stiftungsrat meinen aufrichtigen Dank.

Es handelt sich um ein Patenschaftsmodell der besonderen Art. In einer Bürgerstiftung engagieren sich ehrenamtlich berufserfahrene Handwerksmeisterinnen und Handwerksmeister für Jugendliche mit einem besonderen Förderbedarf. Sie sind Ausbildungspaten und ermöglichen durch ihren Einsatz, dass diese jungen Menschen eine Chance erhalten, ihren Platz in unserer Gesellschaft und im Arbeitsleben zu finden. Die Paten übernehmen Verantwortung für die berufliche und soziale Bildung. Das Besondere an dieser Initiative ist auch, dass Jugendliche verschiedener Ausbildungsberufe an einem Ort – dem Jugendwerkhof Wessels - zusammenkommen und so auch den Respekt vor anderen Berufen lernen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Handwerk,
wir haben uns im Generationenkolleg zusammengefunden und die Aufgabe übernommen, dieses Projekt – und möglicherweise auch noch weitere Projekte – mit unseren Erfahrungen zu begleiten. Auch wir vertreten verschiedene Bereiche und wollen mit Rat und Tat zum Gelingen des Projektes beitragen.

Für das Handwerk erwarte ich von diesem Projekt Anregungen und Anleitungen, wie Wissenstransfer gewinnbringend für alle bewerkstelligt werden kann. Es wäre leichtgläubig zu hoffen, ein Rezept für alle Gelegenheiten zu erhalten – dafür ist das Arbeits- und Zusammenleben viel zu komplex. Doch sollte das Projekt "Alt und Jung im Handwerk" Anstöße aufzeigen, wie Wissenstransfer ohne großen bürokratischen Aufwand - auch übertragbar auf andere Bereiche - gestaltet werden kann. Über Wissensbilanzen und Wissensmanagement wird vielfach diskutiert, es werden umfangreiche Checklisten entwickelt, und Computerprogramme sollen helfen, das zusammengetragene Wissen zu verwalten. Patenschaftsprojekte leben den gegenseitigen Wissensaustausch – jeder lernt von jedem. Wissenstransfer ist keine Einbahnstraße und darf nicht zum Datenfriedhof veröden.

Die demografische Entwicklung und der zunehmende Fachkräftemangel sind für das Handwerk von ständig wachsender Bedeutung. Die Fragen der Nachwuchssicherung und des Generationswechsels sind enorme Herausforderungen, die wir bewältigen werden müssen, damit das Handwerk auch weiterhin seine zentrale Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft erhalten kann. Das Handwerk steht für fast 5 Millionen Beschäftigte – oder 12 Prozent aller Erwerbstätigen. In 945.000 Betrieben – das sind knapp 30 Prozent aller Betriebe in Deutschland – werden 480.000 junge Erwachsene ausgebildet – das sind 30 Prozent aller Auszubildenden. 470 Milliarden Euro Umatz – oder 8 Prozent der Bruttowertschöpfung – erwirtschaftet das Handwerk.

Der für uns wertvollste Rohstoff steckt in den Köpfen unserer Mitarbeiter, in ihrem Wissen, ihrer Kreativität und ihren Erfahrungen. Diesen Rohstoff nicht zu nutzen, wäre Ressourcenverschwendung, die wir uns nicht erlauben können. Vor diesem Hintergrund unterstützt der Zentralverband des Deutschen Handwerks dieses interdisziplinäre Projekt der Technischen Universität Berlin und verschiedener wissenschaftlicher Institute. Wir erhoffen uns praxisnahe Instrumente und Anleitungen, um den Rohstoff "Wissen und Erfahrung" gewinnbringend fördern und nachhaltig nutzen zu können.

Meine Damen und Herren,
ich wünsche uns einen angeregten und erfolgreichen Informations- und Erfahrungsaustausch. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.